Das schwache Geschlecht

„Schwachheit, dein Name ist Weib“ beschreibt Shakespeare die Rolle der Frau in Hamlet. Über 400 Jahre später sollte die Phrase „Das schwache Geschlecht“ nicht mehr die Frau betiteln.  Genauere Betrachtung zeigt jedoch die immer noch fortwährende Schwachstellung des weiblichen Geschlechts im patriarchalischen System. Ist die Frau das schwache Geschlecht?

Anzumerken ist, dass im folgenden Essay lediglich der Vergleich zwischen dem männlichen und weiblichen Geschlecht gezogen wird. Der Grund hierfür ist nicht, andere Geschlechter aus der Debatte auszuschließen, sondern lediglich, dass das Ausmaß dieses Essays nicht reicht, dieses Thema in ausreichender Würdigkeit zu adressieren.

Auf ersten Blick steht die deutsche Politik in Sachen Geschlechtergerechtigkeit gar nicht schlecht da: Angela Merkel regiert Deutschland schon lange genug, sodass junge Erwachsene als Kanzlerin nur sie kennen. Auf europäischer Ebene ist Ursula von der Leyen prominent und die Kanzlerkandidatin der in Umfragen führenden Partei (Stand Mai 2021) ist eine junge Frau. Doch der Blick auf diese bekannten Frauen vermittelt einen falschen Eindruck. Statistiken offenbaren eine erschreckende Erkenntnis: Die Politik ist zu männerdominiert. Der noch höchste Frauenanteil in subsidiären Ebenen findet sich im Europaparlament mit einer Quote von 40% (1). Der Bundestag setzt sich hingegen nur aus 30% Frauen zusammen. Verglichen mit der Kommunalebene, herrschen in diesem jedoch immer noch utopische Zustände. Hier sind es gerade einmal 9% aller Bürgermeister:innen, die weiblich sind. In deutschen Großstädten gibt es mehr Bürgermeister, die den Namen Thomas tragen als Bürgermeisterinnen. (2) Auch der internationale Vergleich malt ein ähnliches Bild: In einer Studie der United Nations Entity for Gender Equality and the Empowerment of Women haben 168 von 192 Ländern weniger als 40% Frauen in nationalen Parlamenten. Im Durchschnitt besetzen Frauen gerade mal ein Viertel der Sitze.

Dass Frauen in der Politik unterrepräsentiert sind, ist also ein unbestreitbarer Fakt. Dies ist nicht nur eine Schwäche unserer Demokratie, sondern macht auch Frauen politisch schwach.

Weitreichende Unterrepräsentation von Frauen lässt sich auch im Bereich Karriere finden: In Deutschland ist nur knapp jede dritte Führungsrolle weiblich besetzt. (3) Oft wird dies damit gerechtfertigt, dass Frauen durch die Schwangerschaft und die Kindererziehung limitiert wird. Dieser Faktor ist jedoch nur ein Symptom von nicht zureichend familienkompatiblen Karrierechancen. Während er zwar nicht außer Acht zu lassen ist, ist es falsch, diesen als alleinige Begründung zu sehen. Ein anderer Faktor beispielsweise ist, dass Führungskräfte bei der Wahl eines Nachfolgers meist Kandidaten wählen, welche ihnen ähnlich sind. Konkret bedeutet das, das Männer weiter Männer für Führungspositionen wählen. Des Weiteren lässt sich auch bemerken, dass Führung oft männlich konnotiert ist. Die letzteren Gründe lassen sich auch auf die zuvor erwähnte Problematik der Politik übertragen.

Die schwache Position der Frau wird in Wirtschaft und Politik sichtbar. Doch erklärt werden kann die Ungleichbehandlung allein mit Blick auf Wirtschaft und Politik nicht. Das patriarchalische System, in welchem wir uns schon seit ungefähr 2500 Jahren befinden, besteht nämlich nicht nur auf diesen Ebenen. Es ist weitumfassend in der Normalität der Gesellschaft verankert.

Bereits im Kindergartenalter bildet sich bei Kleinkindern eine Geschlechtsidentität. Das heißt ihnen wird bewusst, welches Geschlecht sie innehalten. Schon Simone de Beauvoir schreibt in ihrem Werk „Das andere Geschlecht“: „Man kommt nicht als Frau zur Welt, man wird es“ - Das Verständnis für das eigene Geschlecht ist sozial konstruiert, also abhängig davon, welche Rollenbilder das eigene soziale Umfeld vermittelt. Problematisch sind stark limitierte und polarisierte Geschlechterrollen deshalb vor Allem, da schon jung das Verständnis für das eigene Geschlecht ausschlaggebend für die Entwicklung von Stärken und Schwächen ist.

In Deutschland ist es in vielen Familien normal, dass die Frau beruflich für das Kind zurücksteckt: Laut dem Statistischen Bundesamt war im Jahr 2019 der Anteil aller Mütter in Familien mit Kindern unter 6 Jahren, die Elternzeit in Anspruch nehmen, bei fast einem Viertel – der Anteil der Väter nur 1,6 Prozent. (4) Zwar belegen Studien einen Wandel in Familienmodellen – weg vom Mann als Alleinversoger, hin zu egalitäreren Einkommensverteilungen, jedoch ist private Arbeit im Haushalt noch immer meist weiblich besetzt. (5)

Doch nicht nur Rollenverteilung, sondern auch wie das soziale Umfeld Handlungen und Emotionen bewertet, formt Rollenverständnis und ist außerdem zentral für das Selbstbewusstsein und Selbstbild des Kindes. Je nachdem wie das soziale Umfeld reagiert, wird auch entschieden, welche Fähigkeiten und Charaktereigenschaften Kinder erlernen. Gefühle und Handlungen von Mädchen und Jungen werden jedoch oft unterschiedlich bewertet: Wenn ein Junge wütend ist, so gilt dies oft als natürlich und auch im erwachsenen Leben gilt Wut als Ausdrucksform männlicher Autorität. Weibliche Wut wird jedoch anders bewertet: Wütende Mädchen gelten als hysterisch oder zickig. Mädchen wird so vermittelt, dass ihre Wut unangebracht und unerwünscht ist und nicht zu der lieben und ruhigen Umschreibung passt, welche Frauen klassischerweise anhängt. Die Schriftstellerin Leslie Jamison beschreibt in dem Essay-Band „Burn It Down – Women Writing about Anger“, wie Mädchen oft unmerklich ihre Wut unterdrücken und sie zu anderen Gefühlen wie Traurigkeit umwandeln. Weibliche Traurigkeit wird so oft als Symptom weiblicher Schwäche wahrgenommen. (6)

Umgekehrt wird Traurigkeit bei Jungs oft nicht akzeptiert, da diese nicht ins Bild des starken, unverletzlichen Mannes passt. Doch die Unterdrückung dieses vermeintlichen Zeichens der Schwäche, hat keinen Stärkezuwachs zur Folge: Im Gegenteil, eine reduzierte emotionale Mitteilungsfähigkeit sowie ein erhöhter soziale Druck wirken sich negativ auf die mentale Gesundheit aus und führen unter anderem zu Depressionen, Burnouts oder Süchten. Dies drück sich auch darin aus, dass Männer dreimal so oft Suizid begehen wie Frauen (7).

Ist der Mann das schwache Geschlecht? Schwäche ist schwierig zu greifen. Zwar kann sie mit Blick auf Wirtschaft, Politik und Erziehung punktuell definiert und aufgezeigt werden, eine allumfassende Antwort auf die Frage zu finden, ist allerdings nicht möglich. Viel wichtiger ist es darüber zu diskutieren, Lösungsansätze zu finden und sich durch den Dialog weiterzubilden.

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Hierarchien zwischen Staaten

Wir müssen uns fragen, ob ein Abbau dieser Hierarchiestrukturen für einen gerechtere Weltordnung notwendig ist und welche Lösungsansätze es hierfür gibt. Die Entwicklungshilfe ist ein Beispiel dafür, wie versucht werden könnte die „stark-schwach Hierarchie“ im Namen der Gerechtigkeit zu glätten. Dabei besteht die Gefahr, dass implizit alte Rollenklischees bestärkt werden. Zentral ist die Frage, welche Bedingungen eine zukunftsreife Gerechtigkeitsentwicklung erfüllen muss und welche Rolle spielt dabei „Schwäche“?

Um sich mit der Frage nach stark-schwach Hierarchien zwischen Staaten beschäftigen zu können, ist es zwingend notwendig zu verstehen was sie ausmacht. Was macht einen Staat stark? Internationale Institutionen, wie die Vereinten Nationen, versuchen Stärke an verschiedenen Indikatoren messbar zu machen. Dabei lassen sich die Indikatoren grundsätzlich in drei Hauptkategorien unterteilen: Humankapital, ökonomische Stärke und das technologische Niveau.

Das Humankapital, also alle Dinge rund um die Bevölkerung eines Staates lassen sich unter anderem durch die Bevölkerungszahl und Dichte, den Human Development Index (HDI) und den Gini-Index darstellen. Der HDI ist eine Messzahl für den Entwicklungsstand und setzt sich aus drei Komponenten zusammen: der Lebenserwartung, Ausbildung und Kaufkraft. Der der Gini-Index hingegen bildet die Einkommensanteile der unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen ab und ist ein Maß für die Ungerechtigkeit. Ein Index allein kann nicht die gesamte Komplexität der Situation abbilden, deshalb werden unterschiedliche Indizes herangezogen, die sich ergänzen. Der Gini-Index fängt beispielsweise die Schwäche des HDI, Einkommensunterschiede weitgehend unberücksichtigt zu lassen, auf.

Die ökonomische Stärke eines Staates lässt sich durch die typischen volkswirtschaftlichen Indikatoren gut abbilden und messen. Dazu gehören das BIP pro Kopf, die Verbraucherpreisinflation, Staatsverschuldung und das Gross National Income (GNI). Das GNI wird in 4 Kategorein eingeteilt: low, lower-middle, upper-middle und high income. Die Stärke eines Staates wird hauptsächlich durch seine ökonomische Stärke definiert. Jedoch muss hier beachtet werden, dass vor allem die „starken“ Staaten festlegen, was Schwäche und was Stärke ist. Es ist zu hinterfragen, ob die Stärke eines Staates nicht auch vermehrt durch soziale Indikatoren gemessen werden sollte. Wie zum Beispiel durch den Glücksindex, der die Zufriedenheit der Bevölkerung eines Staates abbildet.

Das technologische Niveau als Indikator, lässt sich beispielsweise an dem Global Innovation Index und dem Global Competitiveness Index messen. Der Global Competitiveness Index bildet unteranderem die Qualität der Infrastruktur eines Staates ab.

Die Position von Staaten innerhalb der stark-schwach Hierarchie wird nicht allein durch die Stärke eines Staates bestimmt, sondern durch seine daraus resultierende Macht. Diese Macht äußert sich im internationalen Vergleich vor allem in militärischer Stärke. Diese Form der Machtdemonstration ist noch ein Relikt aus dem kalten Krieg. Die militärische Macht wird beispielsweise am Verteidigungshaushalt gemessen. Je höher der Anteil des Verteidigungshaushaltes am Gesamthaushalt ist, desto größer ist die militärische Macht eines Staates. Die Grundvoraussetzung dafür ist ökonomische Stärke. Heute hat sich diese Macht aus Stärke weiterentwickelt zu drei verschiedenen Arten der Machtdemonstration: die klassische militärische Macht, die ökonomische Macht und Soft Power.

Die ökonomische Macht äußert sich in Sanktionen, oder Strafzahlungen. Sie wird durch Anreize und Zwang ausgeübt, in Form von Hilfe, Sanktionen, oder auch Bestechung. Soft Power begründet seine Macht aus Kulturen, deren Werten und der dazugehörigen Politik und den Institutionen. Ausgeübt wird Soft Power hauptsächlich durch Diplomatie und Öffentlichkeitsarbeit. Heute lässt sich im internationalen Gefüge auf den ersten Blick klar erkennen wer strak und wer schwach ist. Die starken Staaten bilden die einflussreichsten transnationalen Wirtschaftsbündnisse und sind in den höchsten Instanzen der größten Staatenvereinigungen vertreten.

Die ständigen Mitglieder des UN-Sicherheitsrates China, Frankreich, Großbritannien, Russland und die USA. Die Mitglieder der G7 Staaten Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Japan, Kanada und die USA. Die Macht der stärksten Staaten spiegelt sich auch in den Stimmrechten des Internationalen Währungsfonds wieder, denn diese Stimmrechte sind direkt an die ökonomische Stärke eines Staates gebunden. Auch die Anteile an der Weltbank werden nach ökonomischer Stärke verteilt. Die vier größten Anteilseigner sind die USA, Japan, China und Deutschland. Die Weltbank fördert weniger entwickelte Mitgliedsstaaten und ist dabei der weltgrößte Finanzier von Entwicklungsprojekten.

Die Repräsentation der Staaten in den internationalen Institutionen und Bündnissen implementiert eine unipolare Weltordnung mit den USA an der Spitze. Diese Hierarchie hat ihren Ursprung hauptsächlich im Kolonialismus und dem Ausgang des zweiten Weltkrieges. Spiegeln diese Hierarchien noch die heutigen Machtstrukturen wieder? Ist diese Repräsentanz in den genannten Gremien noch an die tatsächliche Relevanz der Staaten im internationalen Machtgefüge gebunden?

Die Periode des Kolonialismus reicht von Ende des 15. Jahrhunderts bis zum Ende des zweiten Weltkrieges. Die Grundidee des Kolonialismus ist die kulturelle Überlegenheit der Hegemonialmächte gegenüber den indigenen Völkern. Vor allem Staatsrivalitäten und der Wunsch nach Prestige und einem starken äußeren Erscheinungsbild sind politische Motivatoren hinter dem Kolonialismus. Die äußere Stärke zeigt sich auch direkt in der ökonomischen Stärke. Das war ein weiterer Motivator hinter dem Kolonialismus, denn die Hegemonialmächte sicherten sich durch ihre Kolonien den Zufluss an Rohstoffen, die essenziell für die wirtschaftliche Stärke waren. Heute existiert der Kolonialismus an sich nicht mehr, aber wie es der Name des Neokolonialismus schon suggeriert, besteht immer noch eine Abhängigkeit der ehemaligen Kolonien zu „ihren Mächten.“ Das geht bis hin zur weiterhin eingeschränkten staatlichen Souveränität. Auch wenn formal keine Abhängigkeit mehr besteht, existiert sie faktisch durch die außen- und verteidigungspolitische Abhängigkeit weiter. So gehören zum Beispiel die ehemaligen französischen Kolonien „Départements et régions d’outre-mer“ praktisch weiterhin zu Frankreich. Hier sind die stark-schwach Verhältnisse sehr eindeutig, so kann zum Beispiel Frankreich in der Regierung seiner Überseegebiete mitsprechen. Damit wird eine autonome Entwicklung stark geschwächt.

Die Siegermächte des zweiten Weltkrieges haben die heute existierende Weltordnung maßgeblich nach ihren Vorstellungen geprägt. Zum Beispiel durch das „Bretton-Woods“ Abkommen, das den US- Dollar als internationales Maß etablierte und aus dem der Internationale Währungsfond und die Weltbank entstanden sind. Der US-Dollar als Maß verknüpft alle Staaten mit den USA. Es läuft also staatenübergreifend daraus hinauf, dass eigentlich immer ein Interesse an der Stabilisierung des US- Dollars besteht, da sein Wertverlust einen Schaden für alle Dividendenhalter darstellt. Unter ihnen sind auch Staaten, wie China, die so auch wieder abhängig von den USA sind. Die unipolare Weltordnung, mit den USA an der Spitze, äußert sich außerdem noch im Export westlicher Werte, wie dem Liberalismus. Diese Weltordnung wird heute durch Institutionen weiterhin gesichert. Der unvermindert starke Einfluss der USA zeigte sich zuletzt als die USA, mitten in einer weltweiten Pandemie, die Mitgliedschaft in der WHO aufkündigte und die Staatengemeinschaft das bestürzt zur Kenntnis nehmen musste. Noch heute vernetzten sich die stärksten Staaten zu ihrem eigenen Nutzen in kleineren Gremien, wie G7, oder G20. Diese Gremien sind durch die ökonomische Stärke ihrer Mitglieder oft wirkungsvoller als die UN.

Das Konzept der Entwicklungshilfe existiert schon zu der Zeit des Kolonialismus. Während dieser Zeit war das Ziel hinter der Entwicklungshilfe die Profitmaximierung auf Seiten der starken Staaten. Dabei wollte man ökonomischen Fortschritt in den Kolonien durch Investitionen in die Metropolen fördern. Später entwickelte sich ein neues Staatsverständnis und die Regierungen sahen sich als „Entwicklungsagenturen“. Die Entwicklung wurde zu einer staatlichen Angelegenheit und private Investoren zogen sich immer weiter aus den Kolonien zurück. Diese kolonialen Strukturen brachen zusammen, als einheimische Akteure Autonomie forderten und die Entwicklungsprojekte nicht mehr finanzierbar waren.

Nach dem zweiten Weltkrieg begann die Zeit, die auch als Imperialismus des Wissens bezeichnet wird. Es wurden Methoden und Arbeitsweisen vermittelt und deren Kultivierung wurde an lokale Autoritäten delegiert. Die Entwicklung wurde in und für Afrika gemacht aber nicht mit Afrika zusammen. Später wurde die Entwicklung zu einem gemeinsamen Projekt von armen und reichen Regierungen und Hilfsorganisationen, da man erkannte, dass die Armutslinderung allein durch ökonomische und soziale Selbstregulierung nicht möglich war. Ab den 50-er Jahren wandelte sich das Konzept zu einem multilateralen Ansatz, bei dem Staaten Organisationen Mittel und Geld zur Verfügung stellten. Der multilaterale Ansatz entwickelte sich in den 60-ern zu einem bilateralen Ansatz, bei dem die Staaten direkt in die Entwicklungsländer investierten. Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung begann die Entwicklungsarbeit der reichen Länder zu koordinieren. 1964 bildete sich ein Bündnis aus 77 Entwicklungsländern als Gegenstimme. Ihr Ziel war es die Entwicklungsländer in den bestehenden internationalen Organisationen zu vertreten.

1974 verabschiedete die UN eine neue Weltwirtschaftsordnung, die Weltorganisationen dazu verpflichtetet Ungleichheiten im Welthandel und Differenzen in den Wohlstandsniveaus schnellstmöglich zu beheben. Dem Abkommen folgten aber keine Taten und in den 80-er Jahren konnten manche Entwicklungsländer ihren Wohlstand steigern, während andere immer weiter in die Verschuldung abrutschten. Daraufhin änderte sich das Konzept der Entwicklungshilfe abermals, es war weniger staatszentriert und hatte einen stärken Fokus auf einzelne Personen. Die treibende Kraft hinter dem Konzept war der Markt. Aus der historischen Ungerechtigkeit und den daraus resultierenden stark-schwach Hierarchien ist eine Verantwortung der starken Staaten gegenüber den schwachen Staaten entstanden. Hier kann Entwicklungshilfe ein Ansatz sein.

Haben starke Staaten überhaupt das Recht festzulegen wer „schwach“ und wer „stark“ ist und wem dadurch Entwicklungshilfe zusteht? Ist die Kategorisierung in „schwach“ und „stark“ nach wirtschaftlichen Indikatoren gerechtfertigt, oder ist vielmehr schon die Kategorisierung an sich fraglich? Die Zuteilung der schwachen Rolle kann sich kontraproduktiv auf die Selbstwahrnehmung des Landes und der Bevölkerung auswirken und somit die autonome Selbstbestimmung und eigene Entwicklung hemmen.
Außerdem stellt sich die Frage, ob es für Entwicklungsländer wirklich erstrebenswert ist die Standards von stärkeren Staaten zu übernehmen und nach deren Erfüllung zu streben, oder würde sie es nachhaltiger stärken ihre traditionellen Werte weiterzuentwickeln. Die Entwicklungshilfe bildet ein Dilemma ab.

Ziel der Entwicklungsarbeit ist es die Ungerechtigkeit, die aus den stark-schwach Hierarchien resultiert, zu mildern, Gerechtigkeit zu schaffen. Dabei rettet sie Leben, stößt einen ethischen Wandel an. Durch die Entwicklungsarbeit entsteht in den Entwicklungsländern Wertschöpfung. Sobald Länder in der Lage sind die Wertschöpfung selbst immer weiter zu steigern und unabhängiger von der Hilfe werden, sind sie in der Lage voll in den Welthandel eingebunden zu werden. Davon profitieren beide Seiten auf lange Sicht. In dieser globalen Gemeinschaft dient der Frieden allen Beteiligten und dadurch wäre es möglich sich globalen Problemen auch auf globaler Ebene zu widmen, wie zum Beispiel dem Klimawandel. An Chinas Vorstoß in die Entwicklungspolitik ist einerseits das Dilemma der Entwicklungshilfe zu sehen, andererseits aber auch ein Aufbruch der klassischen Hierarchie.

China ist nach dem zweiten Weltkrieg, vor allem in den 90-er Jahren rasant wirtschaftlich aufgestiegen. So stark, dass China innerhalb der nächsten Jahre wahrscheinlich die USA als stärkste Wirtschaftsregion ablösen wird. China wurde vom Kapitalempfänger zum Kapitalgeberland. Dieser Aufstieg ist theoretisch ein Erfolg der Entwicklungshilfe, auch wenn der Aufschwung viel mit der Öffnung der Märkte zu tun hatte. China hat den Umbruch geschafft. Auch andere immer mächtiger werdende BRICS-Staaten wehren sich gegen die alte Hierarchie des Westens und die unipolare Weltordnung mit den USA an der Spitze. Unterrepräsentation in Institutionen und fehlender Macht in der alten Hierarchie setzen sie konkurrierende gemeinsame Projekte entgegen. Wie zum Beispiel die Gründung einer eigenen Entwicklungsbank, als Gegenpol zur Weltbank. Sie brechen alte westliche Hierarchien auf und sorgen so für mehr Gerechtigkeit im internationalen Machtgefüge, da sie einen Gegenpol zu der westlichen Macht bilden. Aber ist ihr eigener Vorstoß gerecht?

So setzt China zum Beispiel, ähnlich alter Hegemonialstaaten expansiv die Entwicklungspolitik ein. Sie knüpfen Bedingungen an Entwicklungsprojekte. So hat China mittlerweile 12 Milliarden Euro in Form von Krediten in Äthiopien investiert. Sie sind Teil der neuen Seidenstraße, einer Initiative zum Erschließen neuer Handelsruten, Märkte und Energiebedarfsdeckung. Mit dem Geld wurden Bahn- und andere Infrastrukturprojekte finanziert. Jedoch zwingt China Äthiopien in eine Abhängigkeit, wenn Äthiopien seine Schulden nicht zurückzahlt, sind sie gezwungen immer mehr chinesischen Bedingungen zuzustimmen. Außerdem orientiert sich die Entwicklung Äthiopiens am chinesischen Entwicklungsmodell der Industrialisierung. Dabei werden jedoch sämtliche Folgen für die Umwelt und Gesellschaft außer Acht gelassen. Die Industrialisierung Äthiopiens nutz China außerdem für die Auslagerung der eigenen Produktion, da diese dort noch preiswerter ist als in China. Eine zusätzlicher Kritikpunkt an Chinas Entwicklungspolitik ist der Fokus auf rohstoffreiche Länder.

Werden also durch den Vorstoß Chinas alte westliche Hierarchien aufgebrochen, aber gleichzeitig neue geschaffen? Kommt es einfach nur zu einer Machtverschiebung?

China bildet mit seiner Strategie einen strukturellen Lösungsansatz ab, es ist der Ansatz eines freien Marktes. Daneben gibt es noch die globale Strukturpolitik, die sowohl auf eine strukturelle als auch nationale Lösung setzt. So hat die UN beispielsweise and die Milleniumsziele angelehnt Sustainable Development Goals formuliert. Die vielleicht schon einen Wandel in Bezug auf Indikatoren von Stärke hindeuten. Auch werden immer öfter die Forderungen nach Global Governance laut, um die wechselseitige Verantwortung zu stärken und sich explizit nach gemeinsamen Interessen auszurichten. Die Digitalisierung als dritter Ansatz hin zu mehr Gerechtigkeit ist relativ autonom. Sie vereinfacht den Zugang zu Bildung in allen Bereichen und dadurch entsteht die Chance Ungleichheit zu beheben, unabhängig vom Standort. Zudem ermöglicht die Digitalisierung einen internationalen Vergleich, von Rechten, Möglichkeiten und Zukunftschancen. Gleichzeitig besteht die Möglichkeit sich von innen nach außen hin zu vernetzen, um die Entwicklungshilfe bedürfnisorientierter zu gestalten.

Das erklärte Ziel ist die Abschaffung der klassischen strak-schwach Hierarchien zwischen den Staaten, hin zu mehr Gleichheit. Bleibt die Frage der Finanzierung, soll die Finanzierung von globalen Institutionen ausgehen, oder soll eher auf eine private Förderung gesetzt werden? Egal wie diese Frage beantwortet wird, ist Grundvoraussetzung für eine gute Wirksamkeit, dass Organisation und Absprache zwischen den an der Entwicklungshilfe beteiligten Akteuren verbessert wird. Verantwortlichkeitsgrenzen müssen klar definiert werden. Gleichzeitig sollte Schwäche und meist ist es hier die wirtschaftliche Schwäche nicht mehr dem Stigma durch die strak-schwach Hierarchien entsprechen. Aus der Überwindung von Schwäche können positive Kräfte erwachsen. Der Schwache hat erlebt, dass er etwas gegen seine Schwäche tun kann, das stärkt seine Motivation und den Glauben an das eigene Potential. Durch die Abschaffung der strak-schwach Hierarchien hat die Entwicklungshilfe außerdem die Chance flexibler zu werden.

Quellen:

„Die Neuerfindung der Entwicklungspolitik: Wir brauchen ein Ministerium für globale Entwicklung“ (Faust, Jörg; Messner, Dirk; Deutsches Institut für Entwicklungspolitik; 2013)

„Neokoloniale Weltordnung? Brüche und Kontinuitäten seit der Dekolonialisierung“ (Ziai, Aram; 2012; bpb)

„Geschichte der Entwicklungszusammenarbeit“ (Eckert, Andreas; 2015) „Encountering Development“ (Escobar, Arturo, 1995)
„Teure Almosen für Afrika“ (Staude, Linda; 2018; Deutschlandfunk Kultur) „Chinas Rolle in Äthiopien“ (Breitegger,Benjamin; 2019; Deutschlandfunk) “Umbruch in der Entwicklungspolitik” (Betz, Joachim; 2015; bpb)
“Zukunft der Entwicklungspolitik” (Klingebiel, Stephan; 205; bpb) “Globalisierung und Global Governance” (Zürn, Michael; 2015; bpb)
“World Economic Situation and Prospects” (United Nations; New York; 2021) “Länderklassifizierung” (Prof. Dr. Jörg Altmann; 2018; Gabler Wirtschaftslexikon)

“Herrschaft und Agency in der internationalen Hierarchie” (Lambach, Daniel; 2017)

“Macht und Machthierarchien in den internationalen Beziehungen: Ein Analysekonzept für die Forschung über regionale Führungsmächte” (Nolte, Detlev; 2006; GIGA Research Programme)

„Abiturwissen Politik“ (C.C. Buchner Verlag, 2018, Bamberg)